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Nikograus

Bischof
Bischof

Wie immer bin ich im vollen Besitz meiner geistigen Fähigkeiten. Keine chemische Substanz trübt das Urteilsvermögen und ich berichte klar, wie ich in dieses Loch gekommen bin.
 
Es ist die Gesellschaft, die mir Kopfzerbrechen bereitet. Vielmehr diese Starrköpfigkeit derselben. Wie sie Wirklichkeiten ignoriert und nicht mit den Tatbeständen des Lebens und den Tatsachen unfähig ist umzugehen. Ich fasste vor ein paar Wochen den Entschluss, ein Zeichen zu setzen. Die Menschen mussten ein Ereignis als unvergesslich speichern. Es ist an der Zeit zu sehen, dass Fakten unerlässlich sind. Kapieren, dass sie sie nicht verfälschen durften, weil die Neugierde und die geistige Weiterentwicklung ein wesentlicher Faktor darstellt, uns von Tieren zu unterscheiden.
 
Ich suchte mir den Nikolaustag für meine Mission aus. Dieser Tag ist ein meisterhaftes Beispiel für Tatsachenfälschung. Daher wird er das ultimative Zeichen setzen. Ich bekleidete mich wie der heilige Nikolaus. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn Sie rote Kleidung im Kopf haben, ignorieren Sie unbewusst Tatsachen, was verständlich ist: Brainwashing. Über Jahrzehnte. Die Klarheit meines Gedankenganges wird bei der Betrachtung der Geschichte eben dieses Theologen evident. Auf jeden Fall kleidete ich mich einfach. Nicht weiss, nicht mit Mütze, was diese geistlichen Herren nur zur Messe in der Kirche pflegen zu tun, sondern in einer braunen Kutte, wie es ein ehrlicher Bischof seiner Zeit machen würde.
 
In dieser Zelle stellt sich das Kleidungsstück einmal mehr als praktisch heraus, zumal die grössere Menge an Stoff ein Kissen und eine wärmende Decke hergeben.

Am trüben und seit einiger Zeit zappendusteren sechsten Dezember zog ich los. Es würden noch Kinder draussen spielen. Weit musste ich mich nicht in die Vororte der verwöhnten Wegwerfgesellschaft bewegen, bis ich an einen Spielplatz kam. Es hatten die Eltern ihre Sprösslinge dort sicher vermutet, weil das Areal neu errichtet worden war. Es roch nach frischem Beton, die kurzen Bäumchen, die zwischen die Betonblöcke, die den Boden bilden, gepflanzt worden waren, waren mit Holzpflöcken gestützt. Ich schritt auf ein Grüppchen zu, setzte mich erst auf die Bank, um ihr Verhalten zu analysieren. Hatte jemand Geschwister? Wer war die Aussenseiterin? Wo spielte das Alphamännchen? Ihre Blicke verrieten, wo sie wohnten, da sie unbewusst immer wieder in die Richtung ihrer Wohnhäuser lugten.
 
Als ich meine Heldin gefunden hatte, bewegte ich mich mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu. Sooft das weibliche Geschlecht sonst für die Führung in der Gesellschaft unbedeutend sein mag, Mädchen, speziell wenn sie verschwinden, scheinen berührender zu sein für Erwachsene, als Jungs. Ich brauchte ihr lediglich die Geschichte vom Vertrauten der Eltern zu erzählen, ein paar allgemeingültige Infos abzuliefern, wie sie in den Horoskopen zu lesen sind, und schon hatte ich ihr Vertrauen. Die Kutte trug ihres dazu bei. Bemerkenswert, dass sie in all den Jahrhunderten der Kindesmisshandlung innerhalb der Kirche, noch immer eine positive Konnotation hat. Das Mädchen latschte brav an meiner Hand. Es stellte ein paar Fragen und schnatterte darauf los: Was sie letztes Jahr vom Nikolo kassiert hat, dass ihre Schweizer Freundin nicht Besuch von Knecht Ruprecht, oder dem Krampus, sondern vom Schmutzli bekommen hätte. Irgendwann fiel ihr auf, dass wir abbogen, und sie wollte mir den „richtigen“ Weg nach Hause zeigen. Dass es den nicht gab, konnte sie ja nicht wissen. Ich erzählte ihr von einem Nikolauskollegen, den ich unterwegs treffen müsste, was für sie hinlänglich war. Sie war gewieft genug zu fragen, warum ich keine Nikolokleidung trug, wenn der andere denn ein Kollege wäre. Kurzes Flattern in meinem Bauch. Ärger. Es stellte sie gleich wieder still, als ich ihr erklärte, dass Uniformen in meiner Berufsgruppe der Vergangenheit angehören würden.
 
Ein lauschiges Plätzchen am Fluss hatte ich mir für unser Kunstwerk ausgesucht: Hier konnte das Furchtbare geschehen und die Spuren verwischt werden. Das kluge und wissbegierige Mädchen wollte wissen, warum wir den Kollegen am Flussufer treffen würden. Tja, darauf hatte ich keine hilfreiche Antwort und sie wurde kurz still. Ihre Hand lag aber so in meiner, dass ich sie zur Not festhalten konnte. Sie wäre mir nicht entkommen. Offenbar war sie bisher behütet aufgewachsen, sodass sie keine unheilvollen Gedanken hegte und mitkam. Wütend wurde ich, als sie wieder mit diesem heiligen Nikolaus und seinen Begleitern anfing. Alles Humbug. Es hat diesen Schwachsinn von seinem Umfeld. Es berichtete, als wären diese erfundenen Gestalten Familienmitglieder. Fürchterlich, erneut eine Bestätigung, dass der Plan umgesetzt werden musste.
 
Am grauen Sandstrand, der vom jahrtausendelangen Abrieb der Gebirgssteine stammt, die der Fluss mitbringt und der diesen Geruch von nassem Sand und angespültem Treibgut mit sich bringt, konnte ich nicht umhin, mich zu sputen. Konzentrieren war angesagt, aufpassen nichts falsch zu machen. Am gegenüberliegenden Ufer gab es eine steile Böschung, sodass Zaungäste eher unwahrscheinlich waren. Darüber war Brachlandschaft und erst nach einem grösseren Fussmarsch durch diese, würde man ein Industriegebiet erreichen. Äusserst winzige, bunte Lichter kamen von dort. Rechts, flussaufwärts, gibt es eine Brücke. Diese ist aber weit genug weg. Zudem würden potenzielle Zuschauerinnen von der Beleuchtung des Flussüberganges geblendet werden. Die Motivation von vorher hielt an: Mir war klar, dass es mit diesen Lügen nicht weitergehen könnte. Dennoch wollte ich nicht, dass Wut die Gedanken vergiften. Ich wandte meine mentalen Übungen an, wie es ausschliesslich jemand tun konnte, der geistig fit war und beruhigte mich, liess das Adrenalin verschwinden.
 
Die Operation war nicht schwierig. Der Balg war federleicht und schmächtig, die Haut, die ihre lebenswichtige Blutversorgung garantierte, dünn genug. Es war mein geschärftes Küchenmesser ausreichend. Da war dieser Ausdruck des Kindes. Unsere Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und die Lichtverschmutzung der Stadt um uns half, dass wir unsere Blicke ausmachten. Sie sah enttäuscht drein. Nicht mal verzagt. Sie schienen nur zu sagen:
 
„Du hast mich belogen.“
 
Das traf mich abscheulich, zumal ich ja exakt diesem Übel ein Ende bereiten wollte. Ich hatte zu den gleichen Mitteln gegriffen. Das konnte nicht sein. Nein! Die Unwahrheiten, das Verdrehen der Fakten musste aufhören. Das Mädchen war zwar nicht mehr zu retten, zu tief und gründlich hatte ich ihren Hals durchgeschnitten, aber die Welt schon: Sie sollten mitbekommen, was passiert, wenn Menschen schwindeln. Sehen, wie weit Lügen treiben, was sie anrichten. Die Dahingegangene entsorgte ich im Fluss und sie verschwand im Sog der Strömung. Ich hätte zurück nach Hause gehen können, die Leiche wurde nie gefunden. Auch keine Spuren. Nicht mal meine Aussage am selben Abend war der Polizei genug. Sie zogen tatsächlich in Erwägung, dass ich nicht ganz dicht wäre. Warum sollte ich so etwas sagen, wenn ich es nicht gewesen wäre? Ich brauchte doch für meine Mission eine Botschaft, einen Übermittler!

Nun sitze ich hier und kann es durchaus als Erfolg verbuchen, dass ich einige Interviews mit Reporterinnen habe. Fotos wollen sie machen, filmen. Sollen sie. Mir recht, solange die Nachricht in die Welt geht. Sämtliche psychologische Gutachten versagen: Ich bestehe alle.

 

Virtueller Hut: Du förderts so die Schreibkunst:

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Mailänder Bischof
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Mönch in Mailand
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Kommentare: 2
  • #1

    Thake that (Sonntag, 12 Dezember 2021 18:30)

    Grauslig! Gut!

  • #2

    Julia, Autorin (Donnerstag, 06 Januar 2022 17:04)

    Danke! :-)